Das Seniorenvolk zeigte sich verwirrt, war erstaunt über eine der ersten Diensthandlungen seines obersten Dienstherren, Prof. Böhnke, als Vizepräsident Allgemeine Leichtathletik im DLV-Präsidium verantwortlich für die Senioren. Mit der Einführung des Bundesfachausschusses Senioren hatte er auch für die Einbindung eines „Verantwortlichen für Ästhetik“ gesorgt. Natürlich ohne Befragung des Volkes. Aber notwendige Maßnahmen müssen auch mal ohne entsprechenden Volkswillen durchgesetzt werden. So ist Demokratie halt; frei nach dem Satzungsauftrag: Der Verband ist der Vertreter der Athletinnen und Athleten, Näheres regeln die Notwendigkeiten.
Umso verwunderte rieb sich das „Volk“ die Augen, als der benannte Repräsentant für diese Aufgaben, Karl-Heinz Flucke, gleich als eine seiner ersten Diensthandlungen bei den Europameisterschaften in Poznan im vergangenen Jahr, den Trikot-Wildwuchs und damit die Zulassungspraxis seines Verbandes, des DLV, anprangerte. Die Vielzahl der Trikots, in denen „das Volk“ den Deutschen Leichtathletik-Verband repräsentierte, war nicht nur ärgerlich, sondern fiel auch den Veranstaltern und den ausländischen Mitbewerbern auf. Es war ein hässlicher Anblick, den Flucke in Poznan anprangerte, sowie ein Stein des ästhetischen Anstoßes, den er ins Rollen brachte. Er scheute sich dabei nicht, seinem eigenen Verband Pflichtversäumnisse ins Stammbuch zu schreiben. Denn ausschließlich dieser ist verantwortlich dafür, welche Trikots zu internationalen Meisterschaften von ihm zugelassen werden, und welche aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Dies ergibt sich eindeutig sowohl aus dem WMA‑ als auch dem IAAF-Regelwerk (Regel 143 IWR). Letzteres schreibt sogar vor, dass bei allen internationalen Meisterschaften, auch bei denen der Senioren, jede Nation in einem „einheitlichen“, vom Verband zugelassenen Trikot an den Start gehen müsse.
Dies bei seinem eigenen Verband durchzusetzen, setzte sich der „Repräsentant fürs Ästhetische“ Karl-Heinz Flucke, zum Ziel, sich also selbst eine längst überfällige Aufgabe zu setzen. Da kam ihm der Antrag von Kurt Kaschke, Kollege im Bundesfachausschuss, zuständig fürs „Internationale“, und der Interessengemeinschaft „proMASTERs“, deren Sprecher Kaschke gleichzeitig ist, gerade recht, der im Ausschuss zur Vereinheitlichung des Nationaltrikots eingebracht wurde. Seit dem sind Monate vergangen und der Antrag ruht wohl im Dickicht der Ausschussarbeit.
Die nächsten internationalen Meisterschaften stehen an (22.-25. März in Helsinki und 17.-20.5.07 in Regensburg). Vielleicht hat es aber „das Volk“ noch nicht mitbekommen und Änderungen wurden als Konsequenz aus dem Vorpreschen Karl-Heinz Fluckes bereits gezogen. Zumindest sind sie aber bislang nicht veröffentlicht worden (nur, dass der Verband am Verkauf der Nationalmannschaftstrikot auf einen geringen Teil seines „Verdienstes am Senioren“ verzichtet, wurde beschlossen, veröffentlicht und bereits in die Tat umgesetzt). Aber vielleicht liegt das ja daran, dass die Koordination der im Bundesfachausschuss Senioren Zuständigen -denn den gibt’s schließlich auch- noch nicht so richtig klappt. Denn alles braucht seine Zeit, vor allem, wenn der Ausschuss noch so jung ist und sich die einzelnen Mitglieder noch zusammenfinden müssen. Schließlich handelt es bei allen um Ehrenamtliche, die bei der Umsetzung von Ausschussarbeit nicht genauso professionell arbeiten können wie Hauptamtliche. Allerdings könnten der Beauftragte des Ausschusses für Ästhetik und der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit vielleicht etwas effektiver zusammenarbeiten…
Jedenfalls ist das „Seniorenvolk“ gespannt auf „Helsinki“, wenn sich zeigen wird, welche Konsequenzen aus dem Anstoß von Karl-Heinz Flucke in Poznan gezogen worden sind. Handeln ist geboten, denn Proteste gegen das Auftreten der deutschen Nationalmannschaft sind vorprogrammiert. Die anderen Nationen sehen genüsslich zu, wie „die Deutschen“, bekannt für ihre beflissentliche Regeltreue und –einhaltung, in einem Trikot-Flickenteppich an den Start gehen, weil der Verband seiner Aufgabe, die Zulassung der zu tragenden Trikots ernst zu nehmen und zu regeln sowie aus Verstößen hiergegen Konsequenzen zu ziehen, nicht nachkommt, nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen will.
Bernd Hippel