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Bronzezeit

24. August 2008

Für die deutschen Leichtathleten ist in Peking die Bronzezeit angebrochen. Es ist also gut, dass jetzt engagiert und heftig diskutiert wird, welche Konsequenzen die deutsche Leichtathletik aus ihrer historischen Niederlage ziehen muss.


Ich erinnere mich an die 70er Jahre. Als junge Mittelstrecklerin war es damals überhaupt das Größte, bei deutschen Meisterschaften in den Endlauf  zu kommen. Dann durfte ich anschließend zum legendären Berni Becks, der in seinem adidas-Lkw mit der Frage aufwartete: „Na Mädel, was brauchste denn?“  Bepackt mit neuer Sporttasche, Spikesschuhen, Trainingsklamotten und mehr verließ ich den Sponsorenwagen und war einfach glücklich. Das war zu der Zeit, zu der auch mein Landestrainer dieselben Fragen stellte und dann ein paar Tage später bei mir zuhause ein richtig großes Paket eintraf. Da war ich dann richtig stolz und meine Familie gleich mit.


Neue Spikes reichten kurz danach nicht mehr, und ich musste mit dem Leistungssport aufhören, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nach meiner Ausbildung zur Gymnastiklehrerin stand ich mit 19 Jahren in der Schule und hatte 28 Stunden pro Woche zu unterrichten. Da war ich abends nur noch platt und außerstande, sechs, acht Trainingseinheiten pro Woche abzuliefern. Damals gab es eben überhaupt keine gesponserten (halben) Stellen bei voller Bezahlung. Noch später wurden die Athleten dann vom DLV in „Kader“ eingeteilt und bekamen etwas Sporthilfe, wenn sie Glück hatten. Schon das K-Wort fand und finde ich schrecklich. Es gab dann außerdem nur noch für A-Kader Unterstützung, die in den B-Kader sortierten Athletinnen und Athleten  waren viel, viel weniger wichtig und über die C-Kaderathleten  wurde nicht einmal mehr gesprochen…


Das ist heute immer noch so: Nach großen Erfolgen im Juniorenbereich, gelingt es trotz A-. B- und c-Einteilung wie vor 30 Jahren dem DLV nicht, seine jungen Athleten an die internationale Spitze heranzuführen. In den letzten zehn Jahren sind beispielsweise aus meinem kleinen Verein LG Emstal Dörpen zwei hoch begabte junge Topathleten ausgestiegen: Hochspringer Hannes Zumsande und Mittelstrecklerin Stephanie Thieke – beide deutsche Jugendmeister in ihren Disziplinen- hatten mit nicht einmal 20 Jahren die Nase voll von all der Schinderei. Sie sahen als Athleten darin keine Zukunftsperspektive. Wer berufliche Karrieren der Leichtathletik wegen auf später verschiebt und sich auf den Sport konzentriert, beeinflusst seinen weiteren Weg weiß Gott nicht nur positiv. Er weiß zwar, weshalb er sich quält, aber neben dem Anreiz braucht er auch einen finanziellen Ausgleich, wie Blogger Daniel Kumelis  richtig analysiert. Junge Leichtathleten, die enthusiastisch den Sport zu ihrem Beruf machen, benötigen finanzielle Sicherheit, wie sie jeder Vertragsfußballspieler schon in der 4. Liga hat, von Fußballprofis ganz zu schweigen (die übrigens längst nicht so viel an Training investieren wie Leichtathleten). Aber diesen Ausgleich gibt es nicht, von den wenigen Sportsoldaten und einigen wenigen halben Stellen bei voller Bezahlung einmal abgesehen. Sponsoren werden also gebraucht, doch sie fehlen, weil sie scheinbar nichts für ihr Geld bekommen. Im Gegenteil: 
Allenfalls Zweifel einer kritischen Öffentlichkeit ernten die Leichtathleten, wenn sie Topleistungen abliefern. Der „Witz-Bolt“ (Originalzitat Dieter Massin) aus Jamaika hat daher in Peking seinen Teil dazu beigetragen, dass der Ruf der Leichtathletik weiter ruiniert worden ist.


„Wir stehen für einen ethisch verantwortbaren Leistungssport“, setzt  Deutschlands Leichtathletik-Chef Prokop dem entgegen.
Dafür bekommt er viel Applaus aber eben noch längst kein Geld. Ein Teufelskreis, so scheint es.

Die deutsche Leichtathletikfamilie muss daher zusammenrücken, sonst ändert sich nichts. Das fordert zunächst Respekt vor allen Leistungen, egal ob es die Altersklasse W16 oder W60 ist. Respekt seitens der Funktionäre, der Trainer und der Aktiven vor den Leistungen anderer, das hat in der Vergangenheit oft gefehlt. Ohne den Respekt vor allen Leistungen und Erfahrungen in den eigenen Reihen wird sich jedenfalls kaum etwas ändern, schon gar nicht die öffentliche Wahrnehmung. Die Leichtathleten müssen also  zusammenstehen!


Zweitens ist die Bundesrepublik aufgefordert, viel mehr (öffentliches) Geld in die Hand zu nehmen, wenn sich in der „Kernsportart“ der Olympischen Spiele etwas ändern soll. Das Vereinigte Königreich ist das Vorbild. Denn als die Briten vor acht Jahren in Sydney nur eine einzige Goldmedaille erringen konnten, gab es nach einer gründlichen und leidenschaftlichen Debatte  hohe zusätzliche Sportinvestitionen. Sie haben Wirkung gezeigt, ebenso wie neue Leistungszentren und das Engagement von Spitzentrainern nach dem Modell, das Australien für Sydney 2000 fit machte. Das große Ziel für 2012 – Platz vier im Medaillenspiegel – hat „Team GB“ bereits in Peking erreicht.

Konzentrieren wir uns! Brauchen wir tatsächlich die vielen, über die Republik verteilten Olympiastützpunkte? Brauchen wir wirklich 21 Landesverbände oder tun es auch vier? Es gibt ja auch nicht mehr Himmelsrichtungen. Bildet außerdem unsere Trainer besser aus. Ich glaube nicht, dass bei all den Forschungen und Trainingsneuerungen in den vielen anderen Sportarten ausgerechnet in der Leichtathletik alles schon bekannt ist.

Ach ja, und stellt mal wieder so einen Mann wie Bernie Becks an die Sportplätze. Nur eine Urkunde aus 120g-oder-weniger-Papier in die Hand ist zu wenig, um junge Menschen für die Leichtathletik zu begeistern und  ihre Leistungen sichtbar anzuerkennen.


Auch die deutschen Leichtathleten könnten so ihre hausgemachte Bronzezeit schneller überwinden, als viele Skeptiker glauben. 

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