Makulatur

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Jedes Gemeinwesen lebt davon, dass es eine Vereinbarung über sein Zusammenleben und –wirken abgeschlossen hat. Nur so kann ein solches existieren. Dies hat bereits Jean-Jacques Rousseau in seinem im Mai 1762 erschienenen Werk „Der Gesellschaftsvertrag“ erkannt. Dies gilt insbesondere für einen Staat, der sich eine Verfassung gibt, aber auch für Gemeinwesen innerhalb eines Staatsgebildes, zum Beispiel eine GmbH, aber auch einen Verein oder einen Fachverband. Im Sport sind es die internationalen und nationalen Verbände, die sich Satzungen geben, um ihr Zusammenwirken grundlegend zu regeln. In der Leichtathletik sind dies für Senioren die Satzungen des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) sowie des „World Masters Athletics (WMA)“  im internationalen und des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) für den nationalen Bereich. Sowie Verstöße gegen das Grundgesetz Verfassungsverstöße bedeuten, sind die nationalen und internationalen Sportfachverbände an ihre selbst gesetzten Grundgesetze, also die jeweiligen Satzungen gebunden. Regelungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen, sind verfassungswidrig, solche, die gegen Satzungen von Fachverbänden verstoßen satzungswidrig.

Der Verbandsrat des Deutschen Leichtathletik-Verbandes,nach dem Verbandstag das höchste Gremium dieses Verbandes, hat nunmehr auf seiner letzten Sitzung im Zusammenhang mit den Deutschen Hallenmeisterschaften die Seniorenaltersklassen erst mit den Klassen M/W 40 beginnen lassen, also die bisherigen der M/W 30 und M/W 35 ersatzlos gestrichen. Entsprechende Änderung der Leichtathletik-Ordnung haben die Mitglieder des Verbandsrates, also die Präsidenten der 20 Landesverbände und die Präsidiumsmitglieder des DLV beschlossen. Hierzu waren sie satzungsgemäß berufen, weil Änderungen der LAO vom Verbandsrat vorzunehmen sind. Damit dieser Beschluss aber nicht in den Verdacht gerät, dass die selbst (vom DLV) oder von den internationalen Verbänden (IAAF oder WMA) nur Makulatur sind, stellen sich die vielen betroffenen Seniorenleichtathleten U40 die Frage, ob ein solcher Beschluss rechtens ist oder gegen das „Grundgesetz der Leichtathleten“ verstößt.

Der DLV ist zunächst sowohl Mitglied der IAAF als auch der WMA. Damit erkennt er deren Regelwerk an. Selbstverständlich kann er, von deren Vorschriften abweichende Regeln treffen, also solche, die nur „national“ gelten. Die internationalen Fachverbände, also IAAF und WMA, geben die Altersklassen der Senioren vor: Sowohl in Regel 141 der IAAF-Satzung als auch in der Regel 141 der WMA-Satzung wird vorgegeben, dass die Senioren mit der jeweiligen Altersklasse M/W 35 beginnen, dass also auch diejenigen Senioren sind, die das 35. Lebensjahr vollendet haben, aber noch nicht 40 sind. Denn dort heißt es:

IAAF:
„Altersklassen bei IAAF-Veranstaltungen: Senioren/Seniorinnen: für Stadionwettbewerbe: jeder Athlet, der seinen 35. Geburtstag erreicht hat, für Wettbewerbe außerhalb des Stadions: jeder Athlet, der seinen 40. Geburtstag erreicht hat.“

WMA:
„Wettkämpfe werden nur in den unten angegebenen Altersklassen durchgeführt:
Alter: 35-39 M 35 +W 35“

Ist dies international festgelegt, fragt es sich, ob der nationale Fachverband hiervon zulasten einer Altersklasse, derjenigen der M/W 35, abweichen darf (Bislang ist der DLV zugunsten einer Altersklasse, nämlich der M/W 30 bereits abgewichen, die er in die Senioren miteinbezogen hat). Die Satzung des DLV, dessen Grundgesetz, das für jeden, also nicht nur für Athleten und Vereine, sondern auch für die Gremien, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen des Verbandes, verpflichtend ist, schreibt in § 2 unter anderem Folgendes vor: Der Verband ist verpflichtet, „die Leichtathletik im Gebiet der ihm angeschlossenen LV in Übereinstimmung mit den Regeln der International Association of Athletics Federations (IAAF) einheitlich auszurichten“ („ 2 Abs. 1.1 der Satzung). Der nunmehrige Beschluss des DLV-Verbandsrates setzt somit die Vereinheitlichungsverpflichtung der DLV-Satzung außer Kraft, lässt sie zur Makulatur werden. Der Verband ist zur Vereinheitlichung verpflichtet, ihm ist es satzungsgemäß untersagt, Beschlüsse zu verabschieden, die dem entgegenstehen, also eine
Altersklasse vom Seniorenwettkampfbetrieb auszuschließen. Zumindest die Abschaffung der Altersklassen M/W 35 verstößt daher gegen die DLV- Satzung und damit gegen das „Grundgesetz der Leichtathleten“. Und dies zulasten einer Altersklasse. Zwar bestand auch schon vor dem Verbandsratsbeschluss eine Uneinheitlichkeit, weil national auch die Altersklasse M/W 30 angeboten worden ist. Diese nationale Besonderheit benachteiligte jedoch keinen Athleten. Die Abschaffung
der Altersklasse M/W 35 benachteiligt dagegen die 35-40jährigen Senioren, weil sie
nunmehr keine eigene Altersklasse mehr haben.

Schließlich ist der Verband satzungsgemäß auch verpflichtet, alles zu tun, um Athleten auf internationale Meisterschaften vorzubereiten, also auch Senioren der Altersklasse M/W 35 auf die entsprechenden europäischen und Weltseniorenmeisterschaften. Mit der Streichung dieser Altersklassen verletzt der Verbandsratsbeschluss demzufolge auch die sich aus § 2 Abs. 1.5. der DLV-Satzung ergebende Verpflichtung, den in Frage kommenden Athleten Möglichkeiten der Vorbereitung zu geben.

Wenn eine Satzung daher keine Makulatur werden soll, ist der in Leipzig gefasste Verbandsratsbeschluss der DLV-Satzung anzupassen, ihn verfassungskonform zu machen, also zumindest die Altersklassen M/W 35 wieder in das Seniorenangebot aufzunehmen. Die Ausdehnung auch auf die Klassen M/W 30 weicht zwar auch von den internationalen Vorgaben ab, ist jedoch unschädlich, weil dadurch kein einziger Athlet benachteiligt, sondern eine Vielzahl von Athleten zusätzlich bei der Leichtathletik gehalten werden, die man ansonsten mangels entsprechenden Wettkampfangebotesverschreckt.

Ein Kommentar von Blasius Hippel

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2 Antworten to “Makulatur”

  1. Heinz Engels Says:

    Ohne Not sollen die Altersklassen M/W 30/35 abgeschafft werden. Auch wenn in manchen Beiträgen darauf verwiesen wird, dass man zumindest (da international/IAAF geregelt) die M/W 35 erhalten sollte, so ist obige Frage berechtigt : Welchen Schaden hat denn diese AK angerichtet ? Seit Jahrzehnten – früher als AK I (30-34), AK II (35-39) usw. – bestehen diese AKs hier in Deutschland.
    Sie waren die Grundlage für eine positive Entwicklung des Senioren- Leistungssport in der Leichtathletik und eine Weiterführung der Gedanken der Leichtathletik-Legende, Hans Senftleben, von 1937 (!).
    Da nur wenige Leistungsträger der Aktiven in der M/W 30 die Qualifikation zur „Aktiven“-DM schaffen, so werden die anderen – mit sehr guten Leistungen – von Deutschen Meisterschaften ausgeschlossen.

    Das ist ein Skandal und nicht zu akzeptieren.

  2. Heinz Engels Says:

    Nachtrag : Wenn schon, denn schon. Also, keine halbe Sachen ! Wenn man sich der IAAF / WMA unbedingt anschließen will/möchte – „zumindest M/W 35“ -, dann sollte /müsste man auch konsequent handeln.
    Das heißt : Stichtag ist der Geburtstag, Vollendung des Lebensjahres !
    Ist das etwa der DLV-Wunsch ?
    Wie schon erwähnt : Bisher gab es im DLV-Bereich seit Jahrzehnten keine Probleme mit dieser AK-Einteilung. Der Verbandsrat hat nun – warscheinlich aus Gründen des Problemmangels – sich dieser „Notsituation“ angenommen und nach der Art „Beschäftigungstherapie“ gehandelt !

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